Hass, Enthemmung, Vernichtung

Ein – wenn auch virtueller – Rundgang durch die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau offenbart das Grauen der nationalsozialistischen Herrschaft

Es war eine gute Gelegenheit, mehr zu verstehen, was da eigentlich alles passiert ist. Man merkte außerdem eine gewisse Kälte beim Anschauen des Ortes. Man kann sich das Leid kaum vorstellen, da die Taten, z.B. die Versuche mit oder an den Gefangenen, so dermaßen unmenschlich waren. Ich werde es auf jeden Fall in Betracht ziehen, den Ort selbst nochmals zu besuchen, da das Thema Nationalsozialismus und Holocaust definitiv nicht vergessen werden sollte.“   Tesnim Hamzi, 9d

Im Rahmen des Geschichtsunterrichts der 9. Jahrgangsstufe treffen die Schüler*innen auf das Themenfeld des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts, jenem schlimmsten Zivilisationsbruch der Geschichte.

Wie schon die Schüler*innen der aktuellen 10. Klassen im letzten Jahr, mussten nun auch die Jugendlichen der diesjährigen 9. Klassen sich diesem schwierigen Thema – wenn auch begleitet durch sinnvolle und passende Materialen, Methoden und Aufgaben – allein daheim annähern und sich damit auseinandersetzen. Dies taten die meisten Schüler*innen mit beachtlich großem Interesse und hoher Sensibilität. Die Videokonferenzen konnten dies einrahmen, um die Kenntnisse und besonders die Einordnung zu sichern. Um diese Erkenntnisse den Schüler*innen konkret zu veranschaulichen, gehört ein Besuch in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau zum Unterricht dazu. Im letzten Jahr war die Durchführung eines Besuchs organisatorisch nicht möglich – weder direkt vor Ort noch virtuell (es wird über einen Modus des Nachholens nachgedacht). Die Möglichkeiten eines virtuellen Rundgangs bzw. eines digitalen Workshops sind in jener Zeit auf- und ausgebaut worden, sodass wir die Angebote dieses Jahr nutzen konnten.

Am 18. Mai 2021 machte die Klasse 9d, die sich im Online-Unterricht diesem Thema und Ort bereits genähert hatte, einen solchen 90-minütigen Workshop inklusive virtuellem Rundgang durch die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau. Durch die Gedenkstätte geleitet und umfassend informiert wurden sie von einem der vielen bayerischen Lehrer, die zu der speziell geschulten Gruppe von dortigen Rundgangleitern gehören. Organisiert wird das vom Josef-Effner-Gymnasium Dachau.

Der Workshopleiter nahm die Schüler*innen gedanklich in diese menschenverachtende Welt eines Konzentrationslagers mit, indem er sie um Ergänzung bat zum Satzanfang „Wenn ich `KZ´ höre, denke ich an …“. Eine Vielzahl an Meldungen brachte Äußerungen wie „Hass, Folter, Vernichtung, Sterben vieler Menschen, Juden, Leid“, womit die Jugendlichen selbst den Ort festschrieben.

In einem stetigen Wechsel aus informierendem Vortrag und Einbinden der Schüler*innen mittels Beschreibungen und Bewertungen zu Fotos, Übersichten, Biografien u.a. gestaltete der externe Referent diesen virtuellen Besuch des ehemaligen KZ Dachau, das als erstes NS-Konzentrationslager im März 1933 errichtet wurde. Am 29. April 1945 wurde es durch Soldaten der US-Armee befreit.

Anhand von Luftbildaufnahmen des gesamten Areals des ehemaligen Konzentrationslagers erhielt die Klasse zunächst einen Überblick über die verschiedenen Lagerbereiche, zu dem neben dem Häftlingslager z.B. auch ein riesiger SS-Gebäudekomplex gehörte, gewissermaßen als Ausbildungsstätte, da das KZ Dachau als Blaupause für weitere Konzentrationslager diente. Bereits im Online-Unterricht und anhand des Geschichtsschulbuchs erfuhren die Schüler*innen von den vielen KZ-Außenlagern Dachaus, auch rund um Augsburg.

In einem weiteren Schritt wurde zusammen mit den Schüler*innen an die Anfänge der NS-Herrschaft, an die NS-Ideologie sowie an die ersten Maßnahmen gegen Juden und andere sogenannte „unerwünschte“ Gruppen der Gesellschaft erinnert. Parallel dazu erfuhren die Schüler*innen, wer die Häftlinge im KZ Dachau waren und woher sie kamen: anfangs vorrangig politisch Oppositionelle, Andersdenkende, sozial Ausgegrenzte wie Obdachlose oder Homosexuelle und zunehmend Juden. Der Umgang mit den Häftlingen verschlimmerte sich sukzessive und muss schließlich als völlig enthemmt, bar jeder Menschlichkeit, bezeichnet werden. Dies lief parallel zum öffentlichen Vorgehen gegen die Juden in Deutschland und zum Eroberungs- und Vernichtungskrieg: von der Diskriminierung, Ausgrenzung, Entrechtung und Enteignung hin zum Pogrom 1938 und mündet im Völkermord.

Rechtlosigkeit, Entmenschlichung und Vernichtung waren auch im KZ Dachau Programm. Einige persönliche Biografien von KZ-Insassen, die die Schüler*innen anhand von Fotos auswählten, führte deren Schicksal vor Augen. Die ansonsten abstrakt wirkenden Vorgänge bekamen somit einen Namen von Menschen, die unfassbares Leid erfuhren.

In der nächsten Phase des Workshops führte der Rundgangleiter anhand von Fotostationen durch das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers, informierte eingehend über die jeweilige Funktion der Bereiche und Gebäude, z.B. den `Schubraum´, ein Ankunftsraum zur Abgabe aller persönlichen Gegenstände sowie zum Erhalt der Häftlingskleidung samt aufgenähter Kennzeichnung und zum Rasieren des Kopfes – also zur Entpersonalisierung. Dieser Raum war bewusst angenehm eingerichtet mit Holzinventar, Mobiliar und Geschirrvitrinen, um sowohl propagandistische Bilder in der Öffentlichkeit vermitteln zu können als auch einen vermeintlich zivilen, harmlosen Eindruck auf die ankommenden Häftlinge zu machen. Die Diskrepanz zwischen dem Äußeren des Raums und dem Vorgang der Entrechtung und Entmenschlichung wird dadurch umso größer.

Des Weiteren erhalten die Schüler*innen Informationen zu den Häftlingsbaracken, ihrer äußerst dürftigen Ausstattung und vor allem zur zahlenmäßigen Belegung, nämlich mehrere hundert Menschen, die sich regelrecht stapelten. Anschließend begehen die Schüler*innen virtuell den Appellplatz und erfahren vom Tagesrhythmus im KZ sowie von den diversen grausamen Schikanen des SS-Personals, den perfiden, willkürlichen Maßnahmen mit dem Ziel der Angst und totalen Kontrolle, der Fremdbestimmtheit und der Zerstörung jeglicher Solidarität unter den Häftlingen. Weitere exemplarische Stationen sind Bereiche der Arbeitskommandos, wie z.B. die sogenannte Plantage, einem vermeintlich harmlos wirkenden Kräutergarten, wo jedoch extrem grausames Quälen der Gefangenen vonstattenging; demgegenüber konnte ein Arbeitseinsatz bei Nutztieren wie Kaninchen für die Häftlinge kurzfristig ein wenig Abstand vom Leid bringen – allerdings unterlag auch diese Arbeitsstelle der Willkür des SS-Aufsehers. Die nochmalige Verschlimmerung ihrer ohnehin furchtbaren Situation drohte den Lagerinsassen durch die entsetzlichen Körperstrafen, die bei unbedeutenden Verstößen oder gänzlich willkürlich durchgeführt wurden. Anhand von Häftlingsskizzen und -bildern ermitteln die Schüler Eindrücke und Gefühle, die während oder nach der Zeit des KZ-Aufenthalts ausgedrückt wurden, z.B. die fehlende Menschlichkeit oder Gottlosigkeit des Ortes. Auch die Bereiche der Gaskammer und des Krematoriums zeigt der Workshopleiter. Die Gaskammer wurde nach aktuellem Wissensstand für erste Testreihen zur späteren massenhaften Ermordung benutzt und in den Krematorien verbrannte man die Toten, die durch Arbeitsqual, Krankheit (oft durch die medizinischen Versuche), Hinrichtungen usw. ermordet worden waren. Und noch mit ihrer Asche wurde acht- und würdelos umgegangen.

Das Konzentrationslager Dachau war ein Ort des Sterbens, mindestens 32.000 Menschen kamen hier gewaltsam ums Leben, aufgrund nicht registrierter Ermordungen wohl über 40.000 Menschen.

 

Abschließend sehen die Schüler auch die Gedenkorte verschiedener Religionsgemeinschaften

und äußern ihre eigenen Gedanken zum internationalen Denkmal. Den

Jugendlichen ist – wie das Eingangszitat einer Schülerin zeigt – deutlich geworden, dass angesichts eines nicht versiegenden Antisemitismus´ und sich manifestierenden Menschenhasses in der digitalen wie analogen Öffent

lichkeit die NS-Vergangenheit und der Völkermord an den europäischen Juden und anderen Gruppen ein erinnerndes und lehrendes Gedenken bleiben müssen.

 

Cornelia Arend